Kindergeldrecht: Anforderungen an den Nachweis einer Behinderung
Das Finanzgericht Hamburg (Urteil vom 12.10.2023 – 1 K 121/22) hatte jüngst über die Form des Nachweises einer Behinderung eines über 18jährigen Kindes für die Gewährung von Kindergeld zu entscheiden.
Gemäß §§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 2 EStG besteht ein Kindergeldanspruch, wenn ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
Das Gericht führt hierzu wie folgt aus:
- Das Finanzgericht hat im Rahmen einer Gesamtwürdigung etwa auf der Grundlage vorliegender ärztlicher Beurteilungen die Rechtsfrage zu entscheiden, ob eine Behinderung im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG besteht. Dabei kommt es darauf an, ob eine Behinderung im Sinne der maßgeblichen Legaldefinition des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX vorliegt.
- Die Form des Nachweises der Behinderung ist nicht gesetzlich geregelt. Auch die in der Dienstanweisung des Bundeszentralamts für Steuern zum Kindergeldrecht (DA-KG 2022 A 19.2) formulierten Möglichkeiten des Nachweises der Behinderung können nicht abschließend vorgeben, wie der Nachweis der Behinderung zu erbringen ist.
- Auch ohne eine Verwendung des Begriffes Behinderung in einer ärztlichen Bescheinigung oder einem Gutachten ist gleichwohl zu prüfen, ob aufgrund der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen bzw. Gutachten mit der für die gerichtliche Entscheidungsfindung erforderlichen Sicherheit auf eine Behinderung im Sinne der oben genannten Legaldefinition zu schließen ist.
- Nur ein solches Verständnis der Anforderungen an den Nachweis einer Behinderung steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH zur Abgrenzung zwischen der Berücksichtigung von Kindern bei krankheitsbedingter Hinderung an der Durchführung einer Ausbildung oder Suche nach einem Ausbildungsplatz einerseits und den Fällen behinderter Kinder andererseits, in denen der BFH eine Abgrenzung ausschließlich danach vornimmt, ob die gesundheitliche Beeinträchtigung regelmäßig mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostisch nicht länger als sechs Monate oder aber mehr als sechs Monate dauert (BFH-Urteile vom 31. August 2021, III R 41/19; vom 7. Oktober 2021, III R 48/19; vom 15. Dezember 2021, III R 43/20).
Im Streitfall führte die Auswertung von amtsärztlichen Gesundheitszeugnissen und Gutachten eines Sozialmedizinischen Dienstes auch ohne das Vorliegen von Bescheinigungen eines behandelnden Arztes und trotz erst spät im Verfahrensverlauf erfolgter Feststellung eines Grades der Behinderung zur Überzeugung des Gerichts vom Vorliegen einer Behinderung und deren Eintritt bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres.
(Zum Volltext des – rechtskräftigen – Urteils FG Hamburg 1 K 121/22 gelangen Sie hier.)